Bundestag / Reden
Rede
152. Sitzung vom 28.01.2016
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Novellierung
des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches
und zur Änderung anderer Vorschriften
(Tagesordnungspunkt 17)
Reinhard Grindel (CDU/CSU): Der vorliegende Gesetzentwurf ist keine "Lex Mollath". Für das Parlament
verbietet es sich geradezu, allein aus Gründen eines Einzelfalls
gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen. Die
Koalition reagiert mit dieser Reform des Maßregelvollzugs
vielmehr auf eine Vielzahl von berechtigten Mahnungen
aus der Rechtswissenschaft und dem Gesundheitswesen.
Es trifft zu: Immer mehr Menschen werden immer
länger gemäß § 63 des Strafgesetzbuchs in die geschlossene
Psychiatrie eingewiesen. Das sind jetzt keine Massenphänomene,
aber der Anstieg von rund 4 000 Personen
im Jahr 2000 auf heute gut 6 500 Personen ist doch
eine beachtliche Steigerung.
Deshalb ist der Gesetzgeber jetzt wirklich veranlasst,
darüber zu entscheiden, in welcher Weise wir dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
bei der Abwägung zwischen
der Schutzpflicht des Staates gegenüber der Allgemeinheit,
also potenziellen Opfern, und den Freiheitsrechten
der Täter noch stärker als bisher Geltung verschaffen
können. Das ist im Kern das Ziel des Gesetzentwurfs.
Dabei können wir aufbauen auf den sehr konstruktiven
Vorschlägen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur
Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus, die im März 2014 gebildet
wurde.
Die Ziele des Gesetzentwurfs sind die stärkere Beschränkung
der Anordnung der Unterbringung auf gravierende
Fälle, die zeitliche Begrenzung der Unterbringung
bei weniger schwer wiegenden Gefahren und der Ausbau
der prozessualen Sicherungen, um unverhältnismäßig
lange Unterbringungen zu vermeiden. Die Schwelle der
Erheblichkeit wird heraufgesetzt, indem es sich bei den
künftig zu erwartenden Taten um solche handeln muss,
durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich
geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder
schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird. Allerdings
verbieten sich hier schematische Lösungen nach
dem Motto: Alles, was unter einer Höchststrafe von fünf
Jahren liegt, ist nicht erheblich. Auch etwa die permanente
Bedrohung, man werde jemanden umbringen, kann
zu solchen seelischen Belastungen für das Opfer führen,
dass es sich um eine erhebliche Tat handelt. Die Gerichte
haben nach wie vor auf die besonderen Umstände des
Einzelfalls abzustellen. Der Gesetzentwurf bietet insofern
eine Reihe von Leitplanken, anhand derer sich die
Gerichte bei der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
orientieren können.
Was die Anordnungsvoraussetzungen angeht, sollen
zunächst die Voraussetzungen angehoben werden, wenn
es nur um die Vermeidung wirtschaftlicher Schäden geht.
Der permanente Ladendiebstahl scheint dabei nicht in
Betracht zu kommen, wohl aber die fortgesetzte Beschädigung
von Kunstgegenständen, wie wir sie von den sogenannten
Säureattentätern kennen.
Nicht erforderlich ist hingegen, dass Straftaten zu
erwarten sind, durch die Opfer seelisch oder körperlich
schwer geschädigt werden. Das ist erst für die Fortdauer
eines Maßregelvollzugs nach sechs Jahren erforderlich
oder einer Unterbringung, die der der Sicherungsverwahrung
nach zehn Jahren entspricht.
Neu ist die Einführung einer Darlegungspflicht, die
verlangt wird, wenn aus nichterheblichen Anlasstaten auf
die Gefahr künftiger erheblicher Gefahren für die Allgemeinheit
geschlossen wird. Der Gesetzentwurf sieht vor,
dass besondere Umstände vorliegen müssen, die trotz
einer nichterheblichen Anlasstat auf eine positive Gefährlichkeitsprognose
schließen lassen. Die Feststellung
dieser besonderen Umstände zwingt das anordnende Gericht
auch in dieser Hinsicht zu einer besonderen Beachtung
des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Es wird im
Ergebnis darauf ankommen, zu prüfen, ob es besondere
Anhaltspunkte in der Person des Täters oder den Tatumständen
gibt, dass er bei nächster Gelegenheit etwa ein
deutlich höheres Maß an Gewaltanwendung an den Tag
legen würde.
In prozessualer Hinsicht geht es darum, dass mit
dem Gesetzentwurf die Anforderungen an die jährlichen
Gutachten konkretisiert werden. Wir wollen auch
dem Vorwurf der Fließband- oder Gefälligkeitsgutachten
entgegenwirken. So wird die zeitliche Frequenz deutlich
erhöht, in der externe Gutachter eingeschaltet werden
müssen, und auch bei diesen externen Gutachtern soll es
öfter als bisher zu einem personellen Wechsel kommen.
Im ersten Durchgang im Bundesrat hat der Justizminister
des Landes Bayern, der sich bei diesem Thema in
besonderer Weise auch schon bei unseren Koalitionsverhandlungen
engagiert hat, für eine Beteiligung der Öffentlichkeit
bei den mündlichen Anhörungen des Untergebrachten
geworben. Dadurch solle bei diesem Thema
vor allem für mehr Transparenz gesorgt werden, um dem
Eindruck entgegenzuwirken, hinter den hohen Mauern
der psychiatrischen Krankenhäuser seien die Menschen
hilflos den Gutachtern und Richtern ausgesetzt.
Ich bin dafür, dass wir über den übrigens aus meiner
Sicht bisher einzigen gravierenden Kritikpunkt am Gesetzentwurf
in der öffentlichen Anhörung intensiv diskutieren,
weil ich mir schon vorstellen kann, dass es auch
zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Untergebrachten
und möglicherweise auch potenzieller Opfer Argumente
geben mag, die gegen eine solche Öffnung der
Anhörungen sprechen.