Service / PPP - Stipendiaten/-innen
Die Stipendiatin 2015/2016
Berichte von Emma Zeppernick
Bericht vom Dezember 2015
Fast die Hälfte meiner Zeit hier in den USA ist schon vorüber. 132 Tage, um genau zu sein. Am 15. August ging die Reise für mich los. Nach zwei Tagen in Washington D.C. ging es für mich nach North Carolina, einem Südstaat an der Ostküste. In Mint Hill, einem Vorort von Charlotte, der größten Stadt North Carolinas, lebe ich mit meinen Gasteltern und einer sehr liebenswürdigen Katze. Mein 25-jähriger Gastbruder, der sich im November verlobt hat, lebt mit seiner zukünftigen Ehefrau in einer Wohnung rund drei Stunden entfernt.
Zuerst einmal möchte ich mich erneut bei Herrn Grindel sowie dem Bundestag und dem amerikanischen Kongress bedanken, dass sie mir diese unglaubliche Erfahrung ermöglicht haben. Ich hoffe, dass das PPP noch viele andere reiselustige Jugendliche und junge Erwachsene darin unterstützt, ihre Träume zu verwirklichen und dabei hilft, die Verständigung zwischen den Nationen weiter auszubauen.
Nun aber zurück zu meiner Zeit hier. Ein Jahr in einem anderen Land und in einer anderen Kultur zu verbringen, ist leichter gesagt als getan. Es gibt Tage, an denen man sich fragt, warum man überhaupt hier ist und nicht einfach zu Hause geblieben ist. Manchmal will man sich nur im Bett vor seinen ganzen Pflichten und den nie endenden Herausforderungen verkriechen, denen man sich tagtäglich stellen muss. Aber gleichzeitig hat man auch die beste Zeit seines Lebens. Es ist wirklich schwer in Worte zu fassen, wie es mir im Moment geht. So kitschig es auch klingt, es ist eine Achterbahn der Gefühle.
Vieles ist anders. Das heißt nicht, dass es unbedingt besser oder schlechter ist als in Deutschland, es ist einfach anders. Stereotypen und Vorurteile gibt es den USA gegenüber wie Sand am Meer. Manche sind wahr, aber der Großteil beschränkt sich, wenn überhaupt, nur auf einen geringen Teil der Gesellschaft. Insgesamt möchte ich betonen, dass alle Erfahrungen, die ich schildere, sich nur auf einen Teil Amerikas beziehen. Ich lebe in den Südstaaten, die nicht nur politisch vollkommen andere Ansichten haben als zum Beispiel Kalifornien, Colorado oder New York. Allein in Deutschland gibt es regionale Differenzen. Bayern und Ostfriesland haben nun nicht wirklich unglaublich viele Gemeinsamkeiten – und das, obwohl wir alle im selben Staat leben. Die USA sind im Verhältnis zu Deutschland riesig, so auch die Unterschiede in den jeweiligen Staaten.
North Carolina ist in manchen Hinsichten wohl das, was die meisten Europäer als “typisch amerikanisch” bezeichnen würden. Waffen, Fast Food und bibeltreue Republikaner soweit das Auge reicht. Eine Pistole unterm Sofa und eine im Beistelltisch zu finden, jeden Sonntag erst zu einer Bibelstunde und dann zur Kirche zu gehen, Donald Trump als beinahe Präsidentschaftskandidat vor jubelnden Unterstützern Reden schwingen zu sehen - all das ist sehr ungewohnt für mich. Doch nicht nur das ist North Carolina. Liebenswerte, zuvorkommende Menschen, die jede Minute ihrer Freizeit damit verbringen, anderen zu helfen. Unglaubliches Essen, wovon einem allein beim Denken daran das Wasser im Mund zusammenläuft. Freiheitsliebende, stolze, und warmherzige Persönlichkeiten. Menschen wie du und ich. Das ist North Carolina. Und das ist, was ich so sehr liebe.
Es ist schon so viel Zeit vergangen. Zeit, die bis zum Rande mit unvergesslichen Erfahrungen gefüllt ist. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Mittlerweile ist es Dezember. Ich weiß noch ganz genau, wie ich Mitte August hier angekommen bin. Ich war Mitglied im Tennisteam, wo ich viele gute Freundinnen gefunden habe. Ich habe mein allererstes Football-Spiel gesehen, begeistert vom ansteckenden School Spirit. Mein Englisch wurde immer besser. Jetzt kann ich fließend Englisch sprechen, fast ohne Akzent. Im Oktober wurde ich 16 Jahre alt. Auch wenn ich nicht viel von Stereotypen halte, ich hatte die womöglich “amerikanischste” Geburtstagstorte, die man nur haben kann. Ich habe einen wunderschönen Abend mit guten Freunden, ausgehöhlten Kürbissen, Lagerfeuer und S'mores verbracht. Diesen Geburtstag werde ich für immer in guter Erinnerung behalten, das ist sicher! Und für alle, die nicht wissen, was S'mores sind, hier eine kurze Beschreibung: Man nehme zwei Cracker, einen Riegel Schokolade, und einen Marshmallow, den man zuvor über einem Lagerfeuer geröstet hat, und lege die Schokolade und den Marshmallow zwischen die Cracker. Voilà, S'mores. S'mores ist eine Abkürzung für “some more”, was “etwas mehr (davon)” heißt. Was mir jetzt im Nachhinein in Hinsicht auf meinen Geburtstag aufgefallen ist, ist dass ich von keinem meiner Freunde nur Geld bekommen habe. Jeder hat mir entweder eine Kleinigkeit geschenkt oder einen Gutschein, aber keinen einzigen Geldschein. Ehrlich gesagt, gefällt mir das fast etwas besser als Geld. Ich mag Geschenke, bei denen ich das Gefühl habe, dass man sich Gedanken gemacht hat.
Zwei Wochen nach meinem Geburtstag war Halloween. Ich habe mich wirklich sehr auf Halloween gefreut. Mit vier Freundinnen ging es verkleidet in eine etwas wohlhabendere Nachbarschaft (man will ja die guten Süßigkeiten abstauben...). Mehrere Stunden sind wir durch die Straßen gewandert und haben uns mit dem Satz “Trick or Treat!” (heißt so viel wie “Streich oder Süßes!”) Unmengen an Schokoriegeln verdient. Wir wurden von Maskierten verfolgt, mussten in ein Geisterhaus eindringen, um an unsere “Treats” zu kommen und haben uns mit englischen Auswanderern unterhalten. Ich würde sagen, mein Halloween war ziemlich gelungen.
Ende November war es dann endlich soweit: Thanksgiving! Es gab endlich Ferien (wenngleich auch nur für drei Tage, aber immerhin) und eine Menge Essen. Und wenn ich sage eine Menge Essen, dann meine ich eine Menge Essen. Es gab Truthahn, Kartoffelpüree, grüne Bohnen, Cranberrysauce, Füllung (eigentlich für den Truthahn gedacht, wird aber extra serviert), Süßkartoffelauflauf, Mais, Brötchen und zum Nachtisch Kürbis- und Pecanpie. Ich brauchte nach diesem Festmahl zwar einige Stunden, um mich wieder bewegen zu können, aber das war es auf jeden Fall wert. Thanksgiving war vor fast einem Monat und jetzt ist endlich Weihnachten. Ehrlich gesagt bin ich nicht wirklich in Weihnachtsstimmung. Es ist auch nicht einfach bei rund 25 Grad Celsius, aber ich gebe mein Bestes. Ich habe dieses Jahr zweimal Weihnachten. Der Grund dafür ist, dass mein verlobter Gastbruder Weihnachten mit seiner zukünftigen Ehefrau und ihrer Familie in Florida verbringt. Daher mussten wir unsere Weihnachtsfeier etwas vorverlegen. Am Samstag vor Weihnachten hatte ich also schon mein Weihnachtsdinner, ganz traditionell mit einem riesigen Schinken, und Bescherung. Ich habe meiner ganzen Gastfamilie Plätzchen gebacken: Vanillekipferl, Zimtsterne und Kokosmakronen. Jetzt, nur wenige Tage später, sind schon alle verputzt und ich nehme das als Kompliment. Morgen ist dann so wirklich Weihnachten. Die erste Hälfte meines Jahres ist nun schon vorüber und ich kann die nächsten fünf Monate gar nicht abwarten.
Emma Zeppernick